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27.05.2011
Unternehmensteuer

BFH: Quellenbezogene Mindestbesteuerung

Sachverhalt

Mit der ab 01.01.1999 anzuwendenden und Ende 2003 wieder ersatzlos gestrichenen Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG) hatte der Gesetzgeber eine "quellenbezogene Mindestbesteuerung" schaffen wollen. Die sprachlich nahezu unverständliche und verfassungsrechtlich heftig umstrittene Vorschrift hatte in der Fachwelt massive Kritik auf sich gezogen. Vor diesem Hintergrund hatte der BFH mit Beschluss vom 06.09.2006 eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob die Norm wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit verfassungswidrig ist. Das BVerfG hat den Vorlagebeschluss des BFH als unzulässig verworfen (Beschluss vom 12.10.2010), so dass der BFH nun zur Anwendung der Vorschrift verpflichtet war.

In dem Verfahren IX R 72/04 hatte der BFH die Frage zu entscheiden, ob im Rahmen des Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998 § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG angewendet werden darf. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) - zusammen veranlagte Ehegatten - hatten 1999 Verluste erzielt, die nach § 10d Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 5 EStG in das Vorjahr zurückzutragen waren. Das Finanzamt hatte die aus 1999 stammenden Verluste nur zum Teil mit positiven Einkünften der Kläger aus dem Jahr 1998 verrechnet, da es die Auffassung vertrat, die Höhe der 1998 zu berücksichtigenden Verluste sei unter entsprechender - und damit rückwirkender - Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG zu ermitteln. Hiergegen wandten sich die Kläger, die einen Verlustrücktrag in voller Höhe begehrten.

In dem Verfahren IX R 56/05 war die Frage zu entscheiden, ob § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG lediglich auf eine eingeschränkte Verrechnung solcher negativer Einkünfte, die nicht wirtschaftlich erzielt werden (sog. "unechte" Verluste), zielt oder ob unter den Wortlaut der Norm auch solche Verluste fallen, die tatsächlich wirtschaftlich erzielt werden (sog. "echte" Verluste). Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) - zusammen veranlagte Ehegatten - hatten im Jahr 1997 eine GmbH & Co. KG gegründet, die in der Anlaufphase ihrer Tätigkeit ausschließlich negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielte. Das Finanzamt ließ von dem einheitlich und gesondert festgestellten Gewerbeverlust lediglich einen nach § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG ermittelten Teilbetrag zum (vertikalen) Verlustausgleich mit anderen positiven Einkünften (aus Vermietung und Verpachtung) der Kläger zu. Hiergegen wandten sich die Kläger, die den Ausgleich aller Verluste begehrten. Sie trugen vor, dass die geltend gemachten Verluste aus betrieblichen Investitionen für ein neu gegründetes Unternehmen resultierten; es habe sich nicht um ein sog. "Steuersparmodell" gehandelt.

Entscheidung

Der BFH gab den Klägern (Verfahren IX R 72/04) in vollem Umfang Recht. Bei einem nach § 10d EStG i.d.F. des StEntlG zu beurteilenden Rücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in das Streitjahr 1998 ist § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG nicht anzuwenden. Die in § 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG in Bezug genommene Regelung der „quellenbezogenen Mindestbesteuerung“ (§ 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG) ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden (§ 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG). Eine abweichende, den Veranlagungszeitraum 1998 erfassende Anwendungsregelung ist auch § 52 Abs. 25 S. 1 EStG i.d.F. des StEntlG nicht zu entnehmen. Dieser rechtliche Befund führt im Ergebnis dazu, dass ein Rücktrag von im Veranlagungszeitraum 1999 erzielten Verlusten in den Veranlagungszeitraum 1998 ausschließlich nach § 10d Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 5 EStG i.d.F. des StEntlG zu beurteilen ist. Dies entspricht auch dem in der ständigen Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsatz, dass über Grund und Höhe des rücktragbaren Verlustes nicht im Entstehungsjahr, sondern in dem Jahr entschieden wird, in dem sich der Verlustrücktrag steuerrechtlich auswirkt. Die "negativen Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden" (s. § 10d Abs. 1 S. 1 EStG i.d.F. des StEntlG), bilden insoweit nur eine Ausgangsgröße für die Ermittlung des im Streitjahr wirksam werdenden Verlustabzugs (vgl. BFH-Urteil vom 27.01.2010). Auf die Frage, ob § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG verfassungswidrig ist (so BFH-Beschluss vom 06.09.2006) oder ob die Regelung auf der Basis ihrer "rechensystematischen Grundstruktur" dann doch irgendeiner Auslegung zugänglich sein könnte (so wohl BVerfG-Beschluss vom 12.10.2010), kommt es danach nicht mehr an.

Der BFH gab auch in dem Verfahren IX R 56/05 den Klägern in vollem Umfang Recht. Sämtliche von den Klägern erzielten Verluste aus Gewerbetrieb sind zum Verlustausgelich zuzulassen. § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG bedarf der Auslegung, da der Wortlaut der Norm für sich genommen keinen eindeutigen Sinn ergibt. Die Regelung ist wirtschaftlich zu verstehen und unter Berücksichtigung des Normzwecks, der verfassungsrechtlichen Grenzen des Besteuerungseingriffs sowie des gesetzgeberischen Willens dahin auszulegen, dass die mit ihr verbundene Einschränkung der Verlustverrechnung nur sog. "unechte" Verluste betrifft: Dabei zählen negative Einkünfte jedenfalls insoweit zu den "unechten" Verlusten, als sie auf die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen zurückzuführen sind. Demgegenüber können tatsächlich wirtschaftlich erzielte "echte" Verluste - wie die von den Klägern erzielten negativen gewerblichen Einkünfte - bei der Bildung der Summe der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG in vollem Umfang horizontal und vertikal ausgeglichen werden.

Betroffene Norm

§ 2 Abs. 3 EStG und § 10d EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
Streitjahr 1998 bzw. 1999

Vorinstanz

Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 22.09.2004, 2 K 1686/01
Finanzgericht Berlin, Urteil vom 12.09.2005, 8 K 6331/01

Fundstelle

BFH, Urteil vom 09.03.2011, IX R 72/04, BStBl II 2011, S. 751
BFH, Urteil vom 09.03.2011, IX R 56/05, BStBl II 2011, S. 649

Weitere Fundstellen

BFH, Beschluss vom 06.09.2006, XI R 26/04, BStBl II 2007, S. 167
BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 2 BvL 59/06, BFH/NV 2010, S. 2387
BFH, Urteil vom 27.01.2010, IX R 59/08, BStBl II 2010, S.1009, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

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