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21.01.2011
Private Einkommensteuer

BFH: Erleichterter Nachweis von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen

Bestimmte Krankheitskosten, bei denen die medizinische Notwendigkeit nicht offensichtlich ist, dürfen nur noch berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige ihre Zwangsläufigkeit z.B. durch ein amtsärztliches Gutachten nachweist. Der Gesetzgeber hat mit Einführung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung im Rahmen des StVereinfG 2011 (§ 33 Abs. 4 EStG und § 64 Abs. 1 EStDV) auf die Änderung einer langjährigen Rechtsprechung durch die BFH-Urteile vom 11.11.2010, VI R 17/09 und VI R 16/09 reagiert. Die Anwendung der neuen Nachweisregelungen rückwirkend in allen noch offenen Fällen ist verfassungsrechtlich unbedenklich.  
BFH, Urteil vom 19.04.2012, VI R 74/10

Sachverhalt

Im Verfahren VI R 17/09 stand die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen zur Behandlung einer Lese- und Rechtschreibschwäche in Streit. Der Sohn der Kläger besuchte auf ärztliches Anraten ein Internat mit integriertem Legastheniezentrum. Die Kläger hatten auf die Übernahme der Schulkosten durch den Landkreis verzichtet. Stattdessen machten sie den Schulbeitrag, Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Therapiekosten als außergewöhnliche Belastungen erfolglos beim Finanzamt geltend. Auch die daraufhin erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Denn Aufwendungen für eine Legasthenietherapie (im Streitfall mit Unterbringung in einem entsprechenden Internat) seien nur dann als Krankheitskosten gem. § 33 EStG zu berücksichtigen, wenn der Lese- und Rechtschreibschwäche Krankheitswert zukomme und die Aufwendungen zum Zwecke ihrer Heilung oder Linderung getätigt würden. Dies sei nach ständiger Rechtsprechung des BFH durch Vorlage eines vor der Behandlung ausgestellten amtsärztlichen Attestes oder eines Attestes des medizinischen Dienstes einer öffentlichen Krankenversicherung nachzuweisen.

In der Sache VI R 16/09 war streitig, ob die Anschaffungskosten für neue Möbel als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, wenn sich die Kläger wegen Asthmabeschwerden ihres Kindes zum Erwerb veranlasst sehen. Auch hier blieb die Klage vor dem FG ohne Erfolg, da die konkrete Gesundheitsgefährdung durch die alten Möbel nicht durch ein amtsärztliches Attest nachgewiesen worden sei.

Entscheidung

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Hierzu gehören insbesondere Krankheitskosten und zwar auch dann, wenn sie der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen, unter der ein unterhaltsberechtigtes minderjähriges Kind des Steuerpflichtigen leidet. 

Unter Änderung der bisherigen Rechtsprechung hat der BFH entschieden, dass Krankheit und medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung nicht länger vom Steuerpflichtigen nur durch ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten bzw. ein Attest eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers nachgewiesen werden können. Ein solch formalisiertes Nachweisverlangen ergebe sich nicht aus dem Gesetz und widerspreche dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Diese obliege dem FG. Das FG und nicht der Amtsarzt oder eine vergleichbare Institution habe die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Zwar verfüge das FG nicht über eine medizinische Sachkunde und müsse deshalb regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Indikation der streitigen Maßnahme einholen. Es sei aber nicht ersichtlich warum nur ein Amtsarzt oder etwa der medizinische Dienst einer öffentlichen Krankenversicherung, nicht aber ein anderer Mediziner die erforderliche Sachkunde und Neutralität besitzen soll, die medizinische Indikation von nicht nur für Kranke nützliche Maßnahmen objektiv und sachverständig beurteilen zu können. Die Befürchtung der Finanzbehörden und des dem Verfahren beigetretenen BMF, es könnten Gefälligkeitsgutachten erstattet werden, teilte der BFH nicht. Auch sei das Verlangen nach einer amtsärztlichen oder vergleichbaren Stellungnahme zur Missbrauchsabwehr nicht erforderlich. Denn durch ein von einem Beteiligten vorgelegtes Privatgutachten, beispielsweise des behandelnden Arztes könne der Nachweis der Richtigkeit des klägerischen Vortrags und damit der medizinischen Indikation einer Heilmaßnahme ohnehin nicht geführt werden. Ein solches sei lediglich als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen. Auch vermag der erkennende Senat die Notwendigkeit eines vor Beginn einer medizinischen Behandlung erstellten Gutachtens nicht zu erkennen. 

Darüber hinaus hat der BFH entschieden, dass der Verzicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen dem Abzug von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG nicht entgegensteht. 

Der BFH hat mit Hinweis darauf, dass er an dem oben dargestellten formalisierten Nachweisverlangen nicht mehr länger festhält, beide Vorentscheidungen aufgehoben. Gleichwohl bleiben die Kläger verpflichtet, die medizinische Indikation der streitigen Anschaffungen nachzuweisen, um den Abzug der streitigen Aufwendungen zu erreichen.

Betroffene Norm

§ 33 Abs. 1 EStG
Streitjahre 2002, 2003 und 2004

Vorinstanz

Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 23.10.2007, VI 120/2006
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 31.01.2008, 9 K 1661/05

Fundstellen

BFH, Urteil vom 11.11.2010, VI R 16/09, BStBl II 2011 S. 966 
BFH, Urteil vom 11.11.2010, VI R 17/09, BStBl II 2011 S. 969

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