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25.06.2010
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Änderung der Rechtsprechung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft bei Betriebsaufspaltung

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft (KG), vermietete im Streitjahr 2001 ein Grundstück an ihre Komplementärin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), und stellte dieser entgeltlich Personal und Inventar für die von der GmbH betriebenen Alten- und Pflegeheime zur Verfügung. Die Klägerin erledigte darüber hinaus Verwaltungsaufgaben und erbrachte Hausmeisterserviceleistungen für die GmbH. Gesellschafter der Klägerin und der GmbH waren A, B und C zu jeweils einem Drittel. Die GmbH war zwar Komplementärin der Klägerin, jedoch ohne an der Klägerin kapitalmäßig beteiligt zu sein. Geschäftsführer der GmbH war A. Die Klägerin ging davon aus, dass zwischen ihr und der GmbH eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) bestehe und lediglich nicht steuerbare Innenleistungen zwischen der KG und GmbH erbracht würden. Sie gab daher keine Umsatzsteuererklärungen ab. Das Finanzamt war demgegenüber der Auffassung, dass keine Organschaft vorliege und die Klägerin steuerbare und steuerpflichtige Leistungen an die GmbH erbracht habe. Der gegen den Umsatzsteuerbescheid eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers eingegliedert ist (Organschaft). Nach der Rechtsprechung setzt die finanzielle Eingliederung voraus, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen kann. Bei der finanziellen Eingliederung handelt es sich um eine rechtlich zu erfüllende Voraussetzung, für die es im Regelfall auf die einfache Stimmenmehrheit bei der Beschlussfassung der Gesellschafter ankommt. Ausreichend ist daher eine Beteiligung, die mehr als 50% der Stimmrechte in der Organgesellschaft gewährt, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für die allgemeine Beschlussfassung in der Organgesellschaft erforderlich ist. Eine unmittelbare finanzielle Eingliederung der GmbH in die Klägerin lag im Streitfall nicht vor, da die Klägerin nicht Gesellschafterin der GmbH war. Die Klägerin war auch nicht über eigene Tochtergesellschaften mittelbar an der GmbH beteiligt. Eine finanzielle Eingliederung ergibt sich auch nicht daraus, dass die drei Gesellschafter der Klägerin über die Anteilsmehrheit in der GmbH verfügten. Denn die finanzielle Eingliederung kann grundsätzlich nicht mittelbar über mehrere Gesellschafter des Organträgers erfolgen.

Nach früherer Rechtsprechung des BFH war eine finanzielle Eingliederung zwischen der GmbH als Organgesellschaft und der Personengesellschaft als Organträger zu bejahen, wenn die Mehrheit der Anteile an der GmbH von den Gesellschaftern einer Personengesellschaft gehalten wurde, so dass in beiden Gesellschaften dieselben Gesellschafter zusammen über die Mehrheit der Anteile oder Stimmrechte verfügten. Dabei bejahte der BFH die finanzielle Eingliederung über einen gemeinsamen Gesellschafter, der in GmbH und Personengesellschaft über eine Anteilsmehrheit von jeweils mindestens 95% verfügte und auch Geschäftsführer der GmbH war ebenso wie über zwei Gesellschafter, denen gemeinsam eine Anteilsmehrheit in beiden Gesellschaften zustand. Für den Fall, dass nur mehreren Gesellschaftern gemeinsam eine Mehrheitsbeteiligung an GmbH und Personengesellschaft zusteht, hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung nicht mehr fest. Denn eine finanzielle Eingliederung einer GmbH in eine Personengesellschaft liegt im Hinblick auf das für die Organschaft erforderliche Über- und Unterordnungsverhältnis aufgrund einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter, die nur gemeinsam über eine Anteilsmehrheit an beiden Gesellschaften verfügen, nicht vor.

Die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen setzt ein Verhältnis der Über- und Unterordnung der beteiligten Gesellschaften voraus. Dies Voraussetzung muss nicht nur im Verhältnis zwischen mehreren GmbHs als juristischen Personen gelten, sondern gleichermaßen im Verhältnis zwischen GmbH und Personengesellschaft, selbst wenn an diesen Gesellschaften dieselben Gesellschafter beteiligt sind. Denn eine Personengesellschaft, deren Gesellschafter eine Mehrheitsbeteiligung an der GmbH halten, verfügt gegenüber dieser GmbH über keine größeren Einwirkungsmöglichkeiten als sie zwischen zwei Schwester-GmbHs bestehen. Einwirkungsmöglichkeiten stehen in beiden Fällen gleichermaßen nur den unmittelbar beteiligten Gesellschaftern zu.

Die bisherige Bejahung einer finanziellen Eingliederung aufgrund einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter trägt auch nicht dem rechtlichen Charakter der finanziellen Eingliederung Rechnung. Kommt es für die finanzielle Eingliederung auf rechtliche Durchsetzungsmöglichkeiten an, müssen diese dem Organträger selbst zustehen. Hiermit ist eine Zurechnung der Durchsetzungsmöglichkeiten aus fremdem Beteiligungsbesitz nicht vereinbar.

Auch der Grundsatz der Rechtssicherheit spricht dagegen, von einer finanziellen Eingliederung zwischen Schwestergesellschaften über gemeinsame Gesellschafter auszugehen. Nach diesem Grundsatz müssen die Betroffenen bei Regelungen, die sich finanziell belastend auswirken können, in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen. Da die Organschaft nicht von einem Antrag des Organträgers abhängt, muss der Organträger in der Lage sein, anhand der Eingliederungsvoraussetzungen das Bestehen einer Organschaft rechtssicher feststellen zu können. Bei einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter an zwei Schwestergesellschaften ist jedoch nicht rechtssicher bestimmbar, ob und unter welchen Voraussetzungen der Beteiligungsbesitz einer unter Umständen großen unbestimmten Anzahl von Gesellschaftern zusammengerechnet werden kann, um eine finanzielle Eingliederung der einen in die andere Schwestergesellschaft zu begründen.

Die bloße Anteilsmehrheit mehrerer Gesellschafter an zwei Schwestergesellschaften reicht hierfür auch deshalb nicht aus, da diese Gesellschafter die ihnen zustehenden Stimmrechte nicht einheitlich ausüben müssen. Im Übrigen ist auch nicht rechtssicher bestimmbar, unter welchen Voraussetzungen mehrere Gesellschafter gleichgerichtete oder widerstreitende Interessen verfolgen. Ob im konkreten Einzelfall von einem Fehlen widerstreitender Interessen auszugehen sein kann, ist daher unerheblich. Auch der Umstand, dass die Beteiligung an einer juristischen Person ertragsteuerrechtlich Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters bei seiner Personengesellschaft sein kann, ist für das umsatzsteuerrechtlich maßgebliche Über- und Unterordnungsverhältnis nicht entscheidend. Denn die Qualifikation als Sonderbetriebsvermögen ist für die maßgebliche Willensbildung durch Mehrheitsbeschlüsse unerheblich.

Vorinstanz

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 12.02.2009, Az. 16 K 311/07, EFG 2009, S. 792.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 22.04.2010, V R 9/09, BStBl II 2011, S. 597

Weitere Fundstelle

BMF-Schreiben vom 05.07.2011, IV D 2 - S 7105/10/10001

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